Sehr geehrte Frau Schock,
gesellschaftlicher und kultureller Wandel spiegeln sich nachvollziehbar auch im Angebot und der Nachfrage von Wohnraum wider. So verändern sich in der Folge auch die wesentlichen Faktoren für die Lebensqualität und die emotionale Akzeptanz in Quartieren.
Hierbei zeichnet sich ab, dass in der Stadtplanung zunehmend qualitative anstelle quantitativer Kriterien an Bedeutung gewinnen, um den in Bezug auf das Wohnen neuen Bedürfnissen und Anforderungen Rechnung tragen zu können. Technischer Fortschritt, wirtschaftlicher Strukturwandel und sich verändernde Lebensentwürfe erhöhen die Komplexität der Anforderungen an das Wohnen und die Infrastruktur der Quartiere. Das gegenwärtige Wohnraumangebot reagiert noch wenig auf diese Veränderungen. Hierzu gehört auch die Schaffung von bezahlbarem und bedarfsgerechtem Wohnraum für alle in einem ausgewogenen Verhältnis zur Nachfrage. Deshalb darf an dieser Stelle nicht bloß ein altgedientes Investorenmodell verfolgt werden, sondern der Blick muss auf die Integration neuer, gemeinnütziger Ansätze wie bspw. genossenschaftliche Wohnbaumodelle ausgeweitet werden. Dies bietet gleichsam die Möglichkeit, neue Wohnformen wie Gemeinschafts- und Generationenwohnen, flexibles und temporäres oder Co-Living-Projekte mitzudenken und die Potentiale heterogenen Zusammenlebens im Quartier auszuschöpfen.
Darüber hinaus wird der Umgang mit dem Klimawandel und seinen Folgewirkungen im Mittelpunkt kommunaler Aufgaben der Zukunft stehen. Die Berücksichtigung der Belange des Umwelt- und Klimaschutzes muss folglich Leitlinie der Bauleitplanung sein. Dies beginnt bereits bei der städtebaulichen Entwurfsplanung.
Die Einleitung des Bebauungsplanverfahrens Alte Gladbacher Straße/östlich Tackheide bietet im Zusammenhang mit der Auslobung eines städtebaulichen Wettbewerbs nun die Gelegenheit, ebendiesen veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen an das Wohnen der Zukunft mit einem modernen und nachhaltigen stadtplanerischen Ansatz zu begegnen, der nicht nur nachhaltige, ökologische und soziale Aspekte miteinander verbindet, sondern auch innovative Konzepte zur Optimierung von Gemeinschaft und Lebensqualität sowie ein ausdifferenziertes Angebot an bedarfsorientierten Quartiersinfrastrukturen prüft und so umsetzt, dass von der neu zu entwickelnden technischen und sozialen Infrastruktur auch das schon vorhandene Quartier profitiert.
Wir bitten demzufolge für die o.g. Sitzung um Beratung und Beschlussfassung des nachfolgenden Antrages unter o.a. Tagesordnungspunkt.
Antrag:
Der Ausschuss für Stadtplanung und -sanierung beauftragt die Verwaltung, die in der Verwaltungsvorlage zur Durchführung eines städtebaulichen Wettbewerbes definierten Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung folgender Grundannahmen und Aspekte zu ergänzen:
1) Die Wettbewerbsergebnisse bilden die Grundlage zur Aufnahme, Durchführung und Abschluss einer verbindlichen Bauleitplanung im weiteren Bebauungsplanverfahren. Die Belange von Umwelt- und Klimaschutz (z.B. durch kompakte Bauweise mit Südausrichtung, Festsetzung von Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung, Eingriffsbilanzierung und Ausgleichsmaßnahmen) sind zwingend einzubeziehen.
2) Die Integration genossenschaftlicher Wohnbaumodelle ist zu prüfen und zu planen.
3) Es sind zielgruppenspezifische Wohnkonzepte unter Berücksichtigung folgender Kriterien zu entwickeln:
o ausgewogenes Wohnraumangebot in allen Preissegmenten und für Menschen in allen Lebenssituationen (u.a. hinsichtlich Wohnraumgrößen und Wohnraumgestaltung)
o Einbeziehung aktueller und prognostizierter soziodemografischer Entwicklungen
o Angebot von öffentlich gefördertem und preisgedämpftem Wohnungsbau
o Schwerpunktsetzung für mindestens barrierearmes Wohnen
o altersgerechte Quartiersgestaltung, die durch die Integration entsprechender (externer) Angebote einen fließenden Übergang von häuslicher Unterstützung, Tagespflege und Vollzeitpflege ermöglicht
4) Die Erzielung einer hohen Energieeffizienz, Funktionalität und Nachhaltigkeit, die Prinzipien der Ressourcenschonung und des Cradle-to-Cradle-Ansatzes stellen wesentliche Planungsprämissen dar.
5) Die Perspektive einer „Nullenergiesiedlung“, unterstützt durch ein Geothermiearealnetz, soll planerisch ermöglicht werden.
6) Die Umsetzung von Konzepten der urbanen Landwirtschaft (Urban Gardening, vertikale Landwirtschaft, In-House-Farming, urbane Mikrogärten) für eine verbrauchernahe und -spezifische, nachhaltige, kreislauforientierte und ökologische landwirtschaftliche Nutzung innerstädtischer Flächen soll ermöglicht werden.
7) Ebenso sollen positive Effekte für die Bereiche Bildung und Gesundheitsförderung, der Stärkung des sozialen Zusammenhalts, Abfallreduktion, optimierter Raumgestaltung und der Schaffung grüner Infrastruktur zur Abmilderung städtischer Wärmeinseln und Erhöhung der Resilienz ermöglicht werden.
8) Maßnahmen zur Reduktion der Baukosten, z.B.
o die Anpassung der Stellplatzanforderungen an die heutige Nachfrage und Ergänzung/Ersetzung durch neue Mobilitätskonzepte,
o konkrete Planungsvorgaben zur Flächeneffizienz (z. B. zum Verhältnis Verkehrsfläche zu Wohnfläche) oder Fassadeneffizienz (z. B. verglaste Fläche zu lichtundurchlässiger Fläche usw.),
o die Planung von markt- und mietengerechtem Wohnraum (etwa ein mögliches späteres Zusammenlegen und/oder Trennen von Wohneinheiten),
o Optimierungen in der Planung (wie z. B. Wärmebrückenberechnungen, thermische Simulationen beim sommerlichen Wärmeschutz etc.), sofern höhere Planungskosten in Summe zur Baukostensenkung beitragen,
sind zu beachten.
9) Die Schaffung einer urbanen grünen Infrastruktur im Quartier zur Sicherung von Ökosystemleistungen zur Förderung der biologischen Vielfalt ist Planungsziel. Hierzu gehören u.a.:
o ein Netzwerk aus naturnahen und gestalteten Flächen und Elementen, die gemeinsam eine hohe Qualität in Hinblick auf Nutzbarkeit, biologische Vielfalt und Ästhetik aufweisen und ein breites Spektrum an Ökosystemleistungen erbringen
o die Integration von Sicherung, Planung, Bau und Unterhaltung von Grün- und Freiflächen sowie Management und Pflege von Stadtnatur im Quartier
o die Berücksichtigung in der vorbereitenden und verbindlichen Bauleitplanung und in den städtebaulichen Verträgen
o die Verknüpfung mit den Zielen der örtlichen Verkehrsentwicklungsplanung, um nachhaltige Mobilität zu fördern und Synergien zwischen grauer und grüner Infrastruktur zu schaffen
10) Nachfolgende grundsätzliche Mobilitätsprinzipien sind zu verfolgen:
o ÖV-Stationen bilden die Basis des fußläufigen Quartiers
o Nahversorgungsangebote lassen sich fußläufig erreichen
o die städtebauliche Struktur folgt der Logik des Fußgänger-Flows
o der Parkraum für PKW und Fahrräder wird gleichwertig konzipiert
o ein qualitätsvoller öffentlicher Raum bietet neben Barrierefreiheit auch eine gute Atmosphäre und somit eine hohe Aufenthaltsqualität und Nutzungsvielfalt
o die Logistikströme im Quartier werden ganzheitlich betrachtet
o Mobilitätsstationen im Quartier ermöglichen Multi-Modalität
o Mobilität wird mit Bewohner*innen und Stakeholder*innen determiniert
11) Die Anbindung an das gesamtstädtische Mobilitäts- und Parkraumkonzept („Vom Bahnhof ins Quartier“) ist ebenso zu gewährleisten wie die Anbindung an das regionale Verkehrsnetz (mit der Perspektive eines neuen SPNV- Haltepunktes) und die Schaffung von Fußgänger- und Radwegeverbindungen und deren Anknüpfung an städtische und regionale Wegeachsen (z.B. Krefelder Promenade) zur Vernetzung der Stadträume.
12) Moderne Mobilitätsformen sind u.a. durch eine Pedelecverleih- und Ladestation sowie einer E-Mobilität und Wasserstoff-Ladeinfrastruktur und die Möglichkeit einer Reduzierung von PKW-Stellplätzen zugunsten anderer Mobilitätsformen zu fördern.
13) Die Planungen ermöglichen die Entwicklung einer innovativen und smarten Infrastruktur mit den Zielen
o einer Senkung von Emissionen durch intelligente, dezentrale Energiesysteme und die Verschaltung von (E-) Mobilität, Gebäuden und Energiesystemen,
o einer Fokussierung auf nutzerorientierte Dienstleistungen, die sich an Echtzeitinformationen (bzgl. Umwelt, Verkehr, Energieverbrauch etc.) orientieren,
o einer Integration einzelner Technologien in intelligente Systeme („Internet of Things“), die eine Sharing Economy ermöglichen und
zur Verbesserung von Zukunftsfähigkeit, Ressourceneffizienz, Wohnkomfort, Wohlbefinden, Nachhaltigkeit, Anpassungsfähigkeit, Innovation und der Förderung bürgerschaftlichen Engagements. Als wesentliche Handlungsfelder sind hierbei die Bereiche Wohnen und Energie, Mobilität, Einkauf und Logistik, Gesundheit und Vernetzung des Quartiers zu betrachten.
14) Elemente des Quartiersmanagements und der Nachbarschaftshilfe sind in die Planungen einzubinden und die Einrichtung eines Quartiers- bzw. Stadtteilbüros mit administrativer Infrastruktur sowie Anlauf- und Versammlungspunkt für Bürgerorganisation zu prüfen.
15) Eine Integration von Sharing-Ansätzen (z.B. Cluster-Wohnungen, Coworking Space, Shared Mobility) als Bestandteil einer nachhaltigen Quartiersentwicklung ist vorzusehen.
16) Möglichkeiten der Förderung und einer unterstützenden begleitenden Forschung sind zu ermitteln.
Die einzureichenden Arbeiten sollen den späteren Abschluss eines städtebaulichen Vertrages zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Stadt, den Investoren und Eigentümerinnen und Eigentümern, um die Kosten und Lasten sowie die Vorteile in Form von planungsbedingten Grundstückswertsteigerungen gerecht im Sinne des Gemeinwohls unserer Stadt zu verteilen, erlauben. Außerdem soll die Schaffung von Voraussetzungen für den vermehrten Einsatz informeller Beteiligungsformen neben den gesetzlichen Instrumenten im weiteren Verfahren ermöglicht werden.
Mit freundlichem Gruß
gez. Jürgen Hengst
Stellv. Fraktionsvorsitzender
Sitzung: Ausschuss für Stadtplanung und -sanierung am 30.01.2020
TOP 16: Städtebaulicher Wettbewerb – Alte Gladbacher Straße / öst-lich Tackheide –; Rahmenbedingungen